1932 Die Schornsteine I

Was für ein eindrucksvoller Briefkopf! Voller Besitzerstolz präsentieren die Gebrüder Overlack ihre frisch erworbene Fabrik an der Aachener Straße 256 in Mönchengladbach. Der Schlot raucht – wichtiges Kennzeichen einer funktionierenden Fabrikanlage. Und auch die Bilanz für das Jahr 1931, an der Heinrich noch arbeitet, gibt Anlass zur Freude – trotz der Notverordnungen, mit denen Reichskanzler Brüning das Land regiert und die deutsche Wirtschaft zu sanieren versucht. Am 21. Januar 1932 schreibt Heinrich seinem Bruder Ed, der inzwischen in Bad Honnef lebt: „Die Bilanz ist im Rohen fertig; weiter arbeite ich noch nicht daran, da ich sie zum spätestmöglichen Termin dem Finanzamt einreichen will und bis dahin mannigfache Verschiebungen eintreten können, wissen wir doch nicht, welche Notverordnungen Herr Brüning noch in seinem Busen trägt. Sie ist jedenfalls besser als im Jahr 1930 Uhr und wird bis zu M 5000 oder 6000 Gewinn mehr ausweisen. Doch möchte ich mich auf diese Zahlen noch nicht festlegen, da Änderungen durch Abschreibungen und andere Bewertung des Warenlagers, der Debitoren usw. noch eintreten können. Jedenfalls ist das Ergebnis höchst erfreulich […].“

 

1933 Schmiergeld

Im März 1933 prüft Obersteuersekretär Hartmann vom Finanzamt Gladbach-Rheydt-Nord die Bücher der Gebrüder Overlack. Er wird fündig.

Unter „Spesen“ werden nicht nur „Aufwendungen für Bewirtung von Geschäftsfreunden“ und „Jagdpacht“ aufgeführt, sondern auch „Schmiergelder“. Der Begriff stammt noch aus der Zeit, als man mit Postkutschen über Land fuhr. Da war das Schmiergeld eine feste Gebühr, die jeder Reisende zahlen musste. Denn wenn man die Achsen nicht regelmäßig schmierte, fraßen sich die Räder fest und es gab kein Fortkommen.

Ein anschauliches Bild! Die Tatsache, dass man sich Geschäftsfreunde durch Zuwendungen geneigt machen kann, wurde in Deutschland noch bis zum Steuerjahr 1995 als ehrenwerte Betriebsausgabe berücksichtigt: solange durfte Schmiergeld vom zu versteuernden Einkommen abgezogen werden.

Obersteuersekretär Hartmann moniert im Frühjahr 1933 allerdings den allzu großzügigen Ansatz von Spesen und erhöht den zu versteuernden Gewinn 1930 und 1931 um 5000 bzw. 6000 Reichsmark.


Kohle- und Bleistiftzeichnungen aus den 1920er Jahren
© Stadtarchiv Mönchengladbach, Sammlung August Stief

1934 Die Villa

Im Jahr 1926 lässt der Textilfabrikant Walter Schubarth die repräsentative Villa an der Aachener Straße 236 errichten. Bald darauf muss ihn das geschäftliche Glück verlassen haben, denn schon im Jahr 1930 gehört das Gebäude dem Herrn Direktor Lutz Overlack. Die Villa liegt direkt neben dem Firmengelände der „Gebrüder Overlack“ und ermöglicht Lutz einen extra kurzen Weg zur Arbeit.

„Mein Onkel Lutz“, so erinnert sich Hans Overlack (Geschäftsführer 1963–1992) im Jahr 1998 „war erste Klasse im Wittern von Chancen. Er war ja über viele Jahre hinweg Junggeselle und hat da wohl immer noch bei seinen Eltern in Krefeld gelebt. Jedenfalls hatte er keine größeren Ausgaben. Sein Geld steckte er in Immobilien. Es heißt, dass er bei einem Angriff auf Krefeld während des Zweiten Weltkriegs 60 Wohnungen verloren habe. Für die Villa an der Aachener Straße hat er nur 28.000 Reichsmark* bezahlt – ein Schnäppchen!“

*1 Reichsmark 1933 entspricht 4,60 € im Jahr 2022.


1935 Das Lagergebäude

Etwa 1935 nehmen die Brüder Overlack ordentlich Geld in die Hand. Die vorhandenen Lager- und Produktionsräume reichen nicht mehr aus. Deshalb lassen sie das Hauptlagerhaus neu errichten und beauftragen damit den Bruder von Heinrichs Frau Lisbeth, Robert Gerhards. Der 1898 geborene Architekt ist Oberbaurat in Koblenz und ein Planer mit großem Raumempfinden. Das von ihm entworfene, langgestreckte Lagergebäude wird bis Mitte der 90er Jahre das Bild der Firma an der Aachener Straße prägen. In einem Schreiben aus dem Jahr 1938 heißt es:

„Ein Lichtbild von Mönchengladbach fehlt, da die Fabrik in völligem Umbau ist. Wir weisen darauf hin, dass das Hauptgebäude vor einigen Jahren neu erstellt worden ist und von der Stadt M.-Gladbach als schönster Fabrikbau nach dem Kriege mit einer besonderen Auszeichnung bedacht wurde.“

Wie der früh verstorbene Kompagnon von Lutz Overlack, Dr. Curt Stäuber, stirbt auch Robert Gerhards vor der Zeit an einem nicht erkannten Blinddarmdurchbruch schon im Jahr 1951.


Jagdausflug ca. 1935, Lutz, Eduard sen., Ed und Heinrich

 

Das Foto zeigt Heinrich und seine Söhne Dieter und Hans am Tag nach der Jagd. Erst auf der Nachsuche haben sie den Hirsch entdeckt, der am Abend zuvor tödlich getroffen noch das Weite suchen konnte. Jetzt ist er verendet. Waidmannsheil!

1936 Flintenbrüder

Die Gebrüder Overlack teilen eine Leidenschaft – sie sind begeisterte Jäger. Schon in Kindertagen hat ihr Vater Eduard die drei Buben mit auf die Jagd genommen. Das Foto vom gemeinsamen Jagdausflug dürfte ebenso wie der Jäger im Schnee aus der ersten Hälfte der 30er Jahre stammen. „Aufnahme von Vater vor 3 Wochen bei der Jagd auf Sauen im Hunsrück“, kommentiert Lutz das Bildnis des alten Herrn, „der Mann wird von Jahr zu Jahr jünger.“

Eduard Overlack, jüngstes von 13 Kindern und damit in seiner Familie auf gut rheinisch „et Herrjöttsche“, stirbt im Juli 1936.

 

Eduard Overlack sen.

 

 

Lisbeth und Heinrich Overlack mit ihren Kindern (von links) Dieter, Brigitte und Hans

1937 Späte Hochzeit

Nach ausgiebiger Junggesellenzeit heiratet Lutz Overlack im September 1937 Hilde Rath, da ist er 45 Jahre alt. Die Hochzeitsgesellschaft feiert in der traditionsreichen „Gesellschaft Verein“ in Krefeld.

In der Firma „Gebr. Overlack“ ist Lutz mit dreieinhalb Jahren Vorsprung vor dem jüngeren Heinrich der Senior. Eine Generation später wird sich das ändern, denn Heinrich hat schon im Mai 1921 geheiratet. Seine Kinder Dieter, Hans und Brigitte werden 1922, 1925 und 1928 geboren, Lutz Söhne Eduard und Jürgen erst 1938 und 1942. Zur Hochzeit des älteren Bruders erscheint Heinrich mit festlich herausgeputzter Familie in Frack und Ordensschmuck.

Lutz Overlack heiratet Hilde Rath


1938 Strauss & Overlack I

Im Jahr 1938 beantragen die Gebrüder Overlack einen Gewerbekredit in Höhe von 75.000 Reichsmark. Dafür muss eine ganze Reihe von Formularen ausgefüllt werden. Im ausführlichen Begleitschreiben erfahren wir mehr über die Geschäfte der letzten Jahre: „Unsere Firma betreibt in der Hauptsache einen Großhandel von Schwerchemikalien und allen weiteren chemischen Produkten, die von der Textil-, Leder- und Eisenindustrie verwendet werden und außerdem eine kleinere Fabrikation von Textilhilfsprodukten. Im Dezember 1935 beschlossen wir, um unseren Vertrieb von Chemikalien auch auf die Landwirtschaft auszudehnen, die Übernahme eines jüdischen Düngemittel- und Fruchthandelsbetriebes in Erkelenz, den wir zunächst pachteten. Dieses Unternehmen wurde von den früheren Besitzern, den Herren Strauss in Erkelenz, im Juni 1938 käuflich notariell erworben, nachdem das Einverständnis des Aachener Regierungspräsidenten herbeigeführt worden war. Der Kaufpreis betrug RM 22.500,--.“

Ein merkwürdiger Absatz, der wenig verklausuliert auf ein in diesen Jahren weit verbreitetes schreckliches Phänomen verweist: die Arisierung jüdischen Besitzes. Heinrich Overlack bemüht sich, die Rechtmäßigkeit der Betriebsübernahme herauszustellen; so habe man das Unternehmen im Dezember 1935 zunächst gepachtet. Zweieinhalb Jahre später habe man es dann „käuflich notariell“ erworben und einen genau bezifferten Kaufpreis bezahlt. Gemeinhin sind das Selbstverständlichkeiten – nicht so in den gesetzlosen dreißiger Jahren, in denen die Deutschen ihre jüdischen Mitbürger nicht nur um ihr gesamtes Vermögen, sondern auch sämtlicher Bürgerrechte berauben und sie zu Freiwild machen.

Schon am 13. März 1936 notiert das Naziblatt „Westdeutscher Beobachter” den Übergang der Futtermittel- und Landesproduktenhandlung Strauss in „arische Hände“.

Notiz im Westdeutschen Beobachter, 13. März 1936

 

 

1939 Sicherheit in unsicherer Zeit

Auf den 1. September 1939 datiert der Beginn des Zweiten Weltkriegs. Die deutsche Wehrmacht marschiert völkerrechtswidrig und ohne Kriegserklärung in Polen ein. Daran schließt sich ein sechsjähriges Inferno, das den Kontinent in tiefste Verzweiflung stürzt. Die den Nazis zujubelnden Deutschen kultivieren Welteroberungsfantasien, sind zunächst noch revanchistisch und siegesgewiss, später zunehmend verzweifelt gestimmt. Den Weg zurück in den Kreis der demokratisch regierten Mächte finden sie nur Dank des entschlossenen und zu äußersten Opfern bereiten Einsatzes derer, die sie damals „Feinde“ nennen. Schier unvorstellbare Opferzahlen sind in nahezu jeder Familie der Krieg führenden Nationen zu beklagen.

In derart unsicheren Zeiten sucht man nach Sicherheit im Alltag; davon zeugt der „Übereignungs-Vertrag“ aus dem Jahr 1939, in dem es um Forderungen der Gebrüder Overlack an die Firma Wienheller geht. Diese Forderungen werden mit einem Färbeapparat abgesichert, der im Besitz der Schuldner ist. Ein Besitzerwechsel ist nicht vorgesehen, das Pfand soll schlicht pfleglich behandelt und gegen Feuer versichert werden, bis die Warenschuld beglichen ist.


 

1940 Im Zeichen des Hakenkreuzes

Der Briefbogen stammt aus der Zeit des Dritten Reiches, darauf verweist das eingeprägte Emblem unten links. Rund um das Mitgliedsabzeichen der Deutschen Arbeitsfront (DAF), der Einheitsgewerkschaft des Nazi-Staats, zieht sich der Schriftzug „Gaudiplom für hervorragende Leistungen“. Solche Leistungsabzeichen wurden speziell zur Integration kleinerer Betriebe vergeben. Die ihnen zugrunde liegenden Kriterien machen die politischen Zielsetzungen der DAF deutlich, die als Nachfolgeorganisation der Gewerkschaften schon wenige Tage nach deren Zerschlagung im Mai 1933 begründet wurde.

Mit 25 Millionen Mitgliedern im Jahr 1942 ist die Deutsche Arbeitsfront als Zwangsgemeinschaft von Arbeitnehmern und Arbeitgebern die größte Massenorganisation im Deutschen Reich. An die Stelle einer gewerkschaftlichen Interessenvertretung der Arbeitnehmer ist schon längst deren Erziehung im Sinne der NS-Ideologie getreten. Instrument dabei sind auch die Leistungskämpfe der Betriebe, zu denen sich insbesondere kleinere Betriebe genötigt sehen.


Helmut und Hannelore Strauss, ca. 1941 in Erkelenz, verschollen in Izbica/Polen

1941 Familie Strauss aus Erkelenz –
Die Vernichtung

80 jüdische Mitbürger lebten in Hochzeiten in der Erkelenzer Innenstadt. Das war 1905.

1941 sind es noch 17. Fünf von ihnen tragen den Namen Strauss und sind Nachfahren jenes Salomon Strauss, der in den 1850er Jahren das erste „Frucht- und Spezereigeschäft“ in Erkelenz begründete. Salomons Söhne Moses und Bernhard übernehmen Ende des 19. Jahrhunderts den Landhandel, führen ihn eine Zeit lang gemeinsam, trennen dann das Geschäft und setzen es in eigenen Unternehmungen jeweils mit den eigenen Söhnen fort, so dass in Erkelenz in den 1930er Jahren gleich zwei Landhandlungen mit dem Namen Strauss und einem Firmensitz in der Neusser Straße existieren: der Landhandel „S. Strauß und Söhne“, den Bernhard mit seinen Söhnen Ernst und Karl betreibt und die Firma „Adolf Strauss“, die Moses Sohn Adolf mit seinen Brüdern Fritz und Rudolf führt. Beide Firmen werden arisiert, dabei geht die Firma Adolf Strauss in die Hände der Gebrüder Overlack über.

Was geschieht nun mit den eigentlichen, rechtmäßigen Besitzern dieser beiden Landhandlungen? Nach 1935 arbeitet Adolf Strauss zunächst als Angestellter im vormals eigenen Unternehmen; als dies nicht mehr erlaubt ist, lebt er von Ersparnissen, später von den Einkünften seiner Frau.

Mit viel Glück überlebt Adolf, der eine katholische Frau geheiratet hat und sich noch in der Gestapohaft taufen lässt, die letzten Kriegsjahre versteckt in Bayern. Auch seine drei katholisch erzogenen Kinder Erna, Grete und Kurt überstehen Krieg und Verfolgung, wobei Kurt in der kämpfenden Truppe „untertaucht“. Adolfs Brüdern Fritz und Rudolf gelingt noch rechtzeitig vor dem Krieg die Flucht nach Südamerika, sie überleben in Brasilien. Die Schwestern Caroline und Erna hingegen werden gemeinsam mit ihren Männern Opfer der Shoah.

Fliehen kann auch einer der beiden Cousins, Bernhards jüngerer Sohn Karl, der mit seiner Frau Gertrud und seiner Tochter Ruth im August 1938 nach Kolumbien auswandert. Im Deutschen Reich zurück bleibt der 1898 geborene Ernst Strauß mit seiner Frau Thea und seinen Kindern Helmut (*1931) und Hannelore (*1933). Zug um Zug berauben die Nazis die Familie sämtlicher materieller Güter, zuletzt ihrer Wohnung. Im April 1941 werden Ernst, Thea, Helmut und Hannelore Strauss zwei Zimmer im Spiesshof in Hetzerath zugewiesen. Von hier aus werden sie am 22. März 1942 ins Transit-Ghetto Izbica/Polen deportiert, wo sich ihre Spuren verlieren.

Darstellung der Familienschicksale nach Hubert Rütten,
Jüdisches Leben im ehemaligen Landkreis Erkelenz, Erkelenz 2008.