1922 Firmengründung

Am 1. Juli 1922 gründen der Textiltechniker Lutz Overlack und der Chemiker Dr. Curt Stäuber gemeinsam eine chemische Fabrik, deren Unternehmenszweck die Herstellung von Textilhilfsmitteln ist.

Zu diesem Zeitpunkt boomt die Textilindustrie am linken Niederrhein. Spinnereien, Webereien und Textilausrüstungsbetriebe gibt es in großer Zahl. Vor allem Färbereien und Textildruckereien benötigen Chemikalien. Diesen Bedarf wollen die jungen Unternehmer decken.

Ihr erster Firmenstandort sind gemietete Räumlichkeiten an der Neusser Straße 17, direkt an der Ausfallstraße nach Krefeld am Rande von M.Gladbach gelegen. Von hier aus haben sie kurze Wege zu den Textilproduzenten in beiden Städten.


Lutz Overlack

1923 Lutz (Ludwig) Overlack

Der Herr Direktor, Lutz Overlack, ist ein vergnügter Vogel. Nicht umsonst ist er am Rosenmontag des Jahres 1892 geboren. Kommunikativ hochbegabt, schlitzohrig und schlagfertig, hat er immer einen Witz auf Lager und brilliert in Gesellschaften. Kurz: der ideale Verkäufer.

Von einem Auto muss Lutz auch einmal geträumt haben, wie das Angebot der Westfälischen Kraftfahrzeuggesellschaft vom 28. März 1923 verrät. 30 Millionen Mark soll der Wanderer Personenwagen mit 5/15 PS und Ledersitzen da kosten. Ein halbes Jahr später bekommt man fürs gleiche Geld nur noch ein halbes Kilo Rindfleisch. Die Hyperinflation von 1923 hat das ganze Land in tiefstes Elend gestürzt. Kein Autokauf also auch am Niederrhein – die Geschäftsführung ist mit dem Fahrrad unterwegs, Waren werden mit dem Pferdefuhrwerk oder einem klapprigen Lieferwagen ausgeliefert.

 

Heinrich Overlack, der Mann mit der Nelke im Knopfloch, 1919

 

1924 Heinrich Overlack

Nach nur wenigen Monaten im eigenen Unternehmen stirbt Curt Stäuber bereits im Januar 1923 überraschend an einem Blinddarmdurchbruch. Ludwig Overlack mobilisiert daraufhin seine Brüder. Ed, der ältere, hat als Direktor einer Zinn-Mine in Bolivien sein Glück gemacht und soll das nötige Kapital beisteuern, der jüngere Bruder Heinrich wird zum Kompagnon vor Ort.

Anders als seine Brüder hat Heinrich den ersten Weltkrieg als Fliegeroffizier mitgemacht – und überlebt. Er ist zurückhaltender als Lutz. Zum 1. Januar 1924 tritt er in die Firma ein, die ab jetzt als „Gebrüder Overlack Chemische Fabrik“ firmiert. Heinrich übernimmt die Bereiche Betrieb, Technik, Finanzen und Personal.

In einem Brief vom Oktober 1924 macht er seinem Bruder Ed deutlich, wofür dessen Geld verwendet werden soll: „Der Betrag dient ausschließlich dem Erwerb oder Bau einer Fabrik. Die Fabrikation ist für uns eine Lebensnotwendigkeit, da bei den heutigen Unkosten, Abgaben und Steuern in Deutschland im Handel nichts verdient wird.“ Noch hat man weder ein geeignetes Baugrundstück noch eine übernahmereife Fabrik gefunden. Die allgemeine wirtschaftliche Lage ist schwierig für Existenzgründer: „Sicher wird im nächsten Jahre vieles besser, ob aber die Zeiten so rosig werden, wie Lutz – der ewige glückliche Optimist – annimmt, bezweifle ich persönlich noch. Bedenken brauchen wir keine zu haben: die Firma steht fest und sicher; sie wird uns Beiden ein sicheres gutes Auskommen und Dir ein gutes Verdienst sichern; vielleicht gelingt es aber der anerkannten Overlackschen Tüchtigkeit, mit der Zeit ein Großunternehmen daraus zu machen. Locker lassen wir nicht …“


1902, Konzessionsgesuch, Lageplan

1913, Genehmigungsurkunde

1925 Zu den Wurzeln. Die Vorgeschichte

Im September 1902 stellt Carl Langerfeld jr. ein Konzessionsgesuch für die Errichtung einer Fabrikanlage an der damaligen Dahlener und heutigen Aachener Straße in M.Gladbach. Es handelt sich um eine echte Fabrikationsanlage mit Maschinenhaus, Kesselhäusern, Räumen zum Eindampfen von Säuren und einem Akkumulatorenraum. Neben ausgedehnten Lagermöglichkeiten gibt es auch einen Pferdestall, eine Geschirrkammer und eine Wagenremise. In der Mitte des Areals steht als größtes das eigentliche Fabrikgebäude. Im Jahr 1913 beantragt Langerfeld als Erweiterung noch einen „Shedanbau“, in dem das Rohprodukt „Chinagallen“ weiterverarbeitet werden soll.

Dann kommt der Erste Weltkrieg.

1925, Die Türmchenvilla

Etwa 1925 erwerben die Brüder Overlack mit dieser Chemischen Fabrik Langerfeld das heutige Firmengelände an der Aachener Straße. Verkäuferin ist damals eine Witwe Niedergesäs, die noch bis ins hohe Alter in der „Türmchenvilla“ auf dem Nachbargrundstück residieren wird. Als Nachfolger von Carl Langerfeld hat ihr Mann dessen Chemische Fabrik nur für kurze Zeit betrieben. Nachdem Fritz Niedergesäß im Ersten Weltkrieg gefallen ist, will seine Witwe Toni sich aus dem Unternehmen zurückziehen. Lutz und Heinrich Overlack stehen bereit.


Ed finanziert aus Südamerika das unternehmerische Abenteuer seiner Brüder Lutz und Heinrich

 

1926 Ed Overlack

Ed Overlack, der älteste der drei Overlack-Brüder, ist der Abenteurer der Familie. Als 23-jähriger bricht er 1914 nach Südamerika auf, wird Direktor einer Zinn-Mine in Bolivien und kehrt 1926 als relativ vermögender Mann nach Deutschland zurück. Seiner künftigen Frau Elisabeth, die als Lehrerin im chilenischen Osorno arbeiten will, begegnet er schon 1914 auf der Überfahrt nach Südamerika. Den Ersten Weltkrieg verpasst der junge Ed zu seinem Glück, dafür wird sein Erstgeborener Hans-Lutz blutjung im Zweiten Weltkrieg fallen.

Ed hat Glück, dass er in den in Deutschland so instabilen zwanziger Jahren in Bolivien lebt und in Bolivianos bezahlt wird, die er in Englische Pfund tauscht. Vor der Rückkehr will er sein Geld klug anlegen, dabei investiert er unter anderem in das junge Unternehmen seiner Brüder. Mit dem Bürgschein von 1926 dürften die Investitionen der Brüder in die Firma Langerfeld abgesichert worden sein.

Den südamerikanischen Teil der Familiengeschichte hat Eds jüngste Tochter Christa aus einer Vielzahl von Privatbriefen und Erinnerungen in einem wunderbaren Buch zusammengetragen: „Wer kennt schon Araca? Familienleben in den bolivianischen Anden 1914–1926“.  Da wird auch Eds finanzielles Engagement in der „Gebrüder Overlack Chemische Fabrik“ eingeordnet: „Know-how, Tatkraft und Selbstvertrauen waren vorhanden, was fehlte, war Startkapital. Und um das wird Bruder Ed gebeten. So steigt er mit Geld ein unter der Bedingung der Teilhaberschaft. Er muss großes Vertrauen in die Fähigkeit seiner Brüder gehabt haben.“

 

1927 Die Familie I

Im Garten des elterlichen Hauses in der Hindenburgstraße in Krefeld versammelt sich die Familie Overlack zum Fototermin. Es kann 1927 gewesen sein, vielleicht auch paar Jahre früher. Auf jeden Fall zeigen sich die Eltern Eduard sen. und Sophie stolz mit ihren Kindern und der Schwiegertochter Lisbeth, die sich links im Bild an ihren Mann Heinrich schmiegt. Im Vordergrund sitzt Nesthäkchen Lotte neben Lutz und rechts der Eltern stehen die Schwestern Lene und Martha. Fotograf dieser Aufnahme ist Ed.

Und so erinnert Eds Tochter Christa in ihrem Buch die Familiengeschichte:

„Mein Großvater Eduard hatte als Jüngster von 13 Geschwistern die väterliche Ziegelei übernommen. In den 90er Jahren des 19. Jahrhunderts gingen, wie überall, auch seine Geschäfte schlecht, und das gerade in der Zeit, als er geheiratet und eine Familie gegründet hatte. Seine Frau Sophie Girmes – meine Großmutter – hatte er sich von einem großen, am Stadtrand gelegenen Bauernhof geholt, an den heute nur noch eine Straße, die ‚Girmesgath‘, erinnert. Nun, seine Auserwählte musste wohl als fünftes von sechs Geschwistern etwas schwächlich geraten sein, denn in seiner Familie hieß es: ‚Was willst du bloß mit diesem schwindsüchtigen Mädchen?‘ Ein glattes Fehlurteil – sie wurde 85 Jahre alt! Sie bekam sechs Kinder, immer hübsch abwechselnd Söhne und Töchter, und wurde eine energische und resolute Mutter und Hausfrau, die es verstand, die Familie und das zunächst spärliche Einkommen zusammenzuhalten.

Währenddessen brachte der Vater mit Geschick und großem Einsatz die Geschäfte wieder in Gang. Es gelang ihm, alle der ca. 20 ‚Ringofenbesitzer‘ zusammenzubringen und das erste ‚Rheinische Ziegel-Syndikat‘ zu gründen, dem er als Geschäftsführer jahrzehntelang vorstand und in dem von da an sehr erfolgreich gearbeitet wurde.“


1928 Eine echte Fabrik

In ihren ersten Jahrzehnten ist die Gebrüder Overlack, Chemische Fabrik noch eine echte Produktionsstätte. Innovative Verfahren zur Herstellung neuer Produkte sind gern gesehen – es könnte ja tatsächlich mal ein Sensationsfund darunter sein, der zum Kassenschlager wird. In der Vereinbarung mit dem Chemiker Hans Lewitzki vom Oktober 1928 geht es um die Produktion eines Avivagemittels auf der Basis von Stärkesirup. Solche Präparate werden noch heute in der Textilveredelung eingesetzt, um die Geschmeidigkeit von Fasern, Garnen und Stoffen zu erhöhen. Ob Lewitzkis Geheimrezept dabei noch immer eine Rolle spielt? … Wir wissen es nicht.

 

1929 Die Familie II

Die Geschichte eines Familienunternehmens in den 20er Jahren erzählt immer auch Familiengeschichte. Jedenfalls ist belegt, dass die Firma den unverheirateten Schwestern der Geschäftsführer-Brüder, Lene und Lotte, über lange Zeit ein kleines Gehalt zahlt. Dafür führen die beiden seit Juni 1925 die Geschäftsstelle Krefeld, was vom Elternhaus aus geschieht. Hintergrund ihres Engagements: Ferngespräche sind teuer in diesen Jahren, und da das benachbarte Krefeld ein wichtiger Absatzmarkt der „Gebr. Overlack“ ist, ermöglicht der Einsatz der Schwestern den Krefelder Kunden die Aufgabe ihrer Bestellungen zum Ortstarif.

Fotograf dieses Bildes ist Lutz, dafür steht Ed jetzt zwischen seinen jüngeren Schwestern Lene und Martha.

Noch einmal Eds Tochter, Christa Mehrgardt:

„Mein Großvater war allseits anerkannt und geachtet, nicht nur seiner Kompetenz und Gerechtigkeit wegen, sondern auch wegen seiner ausgleichenden und liebenswürdigen Art im Umgang mit jedermann – und wegen seiner Großzügigkeit. Als er einmal nach langer Krankheit im Frühjahr zum ersten Mal wieder über die Bahngleise zu seiner Arbeit ging, rief ihm der Schrankenwärter: ‚Prost Neujahr, Herr Overlack!‘ zu. Klar! Er hatte ja noch nicht wie üblich sein Neujahrsgeld – ‚Neujährken‘ genannt – bekommen. Und ebenso klar war, dass das Versäumte unverzüglich nachgeholt wurde.

In der Familie mit der wachsenden Kinderschar ging es fröhlich und lebhaft zu, denn alle miteinander waren mit einer guten Portion rheinischen Temperaments und Humors ausgestattet. Krefeld, der Heimatort, war eine schöne und gepflegte Stadt, wohlhabend und bekannt durch ihre zahlreichen Samt- und Seidenwebereien sowie ihre Färbereien. Ihre Besonderheit wurde hervorgehoben durch den Ausspruch: ‚Es gibt Gute, es gibt Böse, und es gibt Krefelder.‘“


1930 Max Meer –„Tod eines Handlungsreisenden“

Wir werden 1930 Geschäfte gemacht? Wie wird der Kundenkontakt gehalten? Der Vertrag vom 15. April 1930 zwischen der Firma Gebrüder Overlack und Max Meer verrät es. Vertreter sind gesuchte und wichtige Geschäftspartner. Dabei werden sie auf Provisionsbasis bezahlt, handeln also als Selbstständige.

Dass das nicht immer auskömmlich gewesen sein kann, belegt schon Arthur Millers Klassiker von 1949: „Death of a salesman“.

Ein kleiner Beleg dafür findet sich auch in der Personalakte des Overlack-Archivs: irgendwann im Frühjahr 1931 muss Max Meer seine Geschäftspartner um einen Kredit gebeten haben; der wird gewährt und auf ungewöhnliche Art abgesichert.

Wer mehr wissen will, blättert sich durch die Akte.


1931 Lohnherabsetzung

Schlechte Zeiten für Arbeitnehmer! Im Ruhrbergbau kommt es Anfang Januar zu Massenentlassungen. Nachdem eine von der Regierung eingesetzte Schlichtungskommission eine sechsprozentige Lohnkürzung beschlossen hat, dürfen die Kumpel an ihre Arbeitsplätze zurückkehren. Auch die Firma Overlack setzt ihre Arbeiter und Angestellten am 30. Januar 1931 davon in Kenntnis, dass sie sich eine vergleichbare Lohnkürzung vorbehält – unter der allgemein gehaltenen Klausel: „falls die Beschäftigung schlechter wird.“ Ob es zu dieser Lohnkürzung tatsächlich gekommen ist, wissen wir nicht.

Im März 1931 beträgt die Zahl der Arbeitslosen in Deutschland jedenfalls knapp 5 Millionen. Dabei erhalten längst nicht alle Erwerbslosen Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung. Das Realeinkommen sinkt, die Armut wächst. Deutschland steuert finsteren Zeiten entgegen.